
Bundesjugendspiele: Vortreten! Loser!
Ehrlich: Ich habe die Urkunden noch. Sie waren mir damals egal, sie sind es heute. Irgendwie haben sie es in einem Ordner unbeachtet durch 20 Umzüge geschafft. Aber wisst ihr, warum sie mir egal waren? Weil ich damals schon ahnte, dass sie absurd waren.
Die Bundesjugendspiele waren als Ganzes komplett absurd, weil wir als Schüler gar nicht darauf trainiert wurden. Einmal im Jahr hieß es: Antreten und abliefern. Und einmal im Jahr hieß das von den Schülern, das Los, das sie bei der Körperlotterie gezogen hatten, unter den Augen aller zu zelebrieren. Die sportlichen waren einen Tag lang sportlich. Die mittelmäßigen waren kaum wahrnehmbar. Und die dicken, gehandicappten, grobmotorischen oder lungenkranken waren unsportlich. Es war grotesk: Eine Leistung, die von vorneherein feststand, wurde völlig stumpf alljährlich abgefragt.
Denn bewertet wurde ja kein Fortschritt, keine Relation zur eigenen körperlichen Ausstattung, sondern eine absolute Zahl. Bewertet wurde nicht, wer welche Probleme mitbrachte und wie heldenhaft er sich gegen seine Unsportlichkeit stemmte. Oder wer es schaffte, seinem ohnehin sportlichen Body mehr abzuverlangen. Sondern es wurde getan, als wären am Morgen der Bundesjugendspiele alle gleich. Und nur durch ihren Willen (gespiegelt in ihrer Punktzahl am Abend) am Ende unterschiedlich.
Was für ein gigantischer Quatsch. Und wie verfehlt, das mit anderen Fächern zu vergleichen! Denn da geht es immerhin um das regelmäßige Trainieren geistiger Fähigkeiten. Da wird jeden Tag Mathe, Erdkunde, Deutsch, Philosophie gelehrt. Herangehensweisen werden Schritt für Schritt nahe gebracht. Methoden erschlossen. Sprachen ganz langsam kennen gelernt. Da kann, wer nicht mitkommt, Nachhilfe nehmen. Um selbst Erkenntnisse zu gewinnen. Nicht, um „besser als die Anderen“ zu sein.
Dagegen wäre es absurd gewesen, sich in der eigenen Freizeit auf die Bundesjugendspiele zu trimmen. Sport war nicht mal Versetzungsfach. Und so wichtig war die (potenzielle) Demütigung eben auch nicht, als dass man ihr mit großem Aufwand versucht hätte zu entkommen – weil sie nur einmal im Jahr stattfand.
Für mich im Rückblick das Irrste: Dass das alles ohne jede Reflexion von statten ging. Da saß unsere Sportlehrerin, selbst ein fett gewordenes Mahnmal ehemaliger Fitness (sie hatte sogar mal an der Olympiade teilgenommen) auf einem Klapphöckerchen und drückte die Stoppuhr. Trug eine Zahl ein. Und verteilte am Schluss Urkunden. Kein Gespräch darüber, dass die Klassenkleinste sich wacker geschlagen hätte im Weitsprung. Der Schmalste das mit dem Hammerwurf aber ziemlich ernst genommen hätte. Nix. Punkte. Punkte. Punkte. Verteilt an Leute, die an dem Wettbewerb ja gar nicht hatten teilnehmen wollen.
Dieses unreflektierte Urkundenausteilen unterstrich das Vakuum, in dem diese „Spiele“ stattfanden, die Sinnlosigkeit der Punktezählerei: Danach konnte nur noch Sprachlosigkeit folgen. Und in der Sportstunde drauf stand Basketball auf dem Plan. Wo die Großen sich freuten und die Kleinen es ertrugen.
PS: Zur Petition: Ich bin nicht für eine Abschaffung, damit Schülern die Demütigung erspart bleibt. Ich glaube sogar, dass die meisten Kids den Frust schnell wegstecken. Aber wie wäre es denn, wenn was Sinnvolleres eingeführt würde als „Einmal im Jahr hüpfen, rennen, werfen auf Kommando“? Etwas, das nicht Konkurrenz schafft durch eine Skala, sondern Lust auf Bewegung macht? Lust auf Teamsport? Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit? Ein Programm, das die Schwachen stärker macht und die Starken auch? Ja, sowas fände ich noch toller als die Bundesjugendspiele.
Und ich habe absichtlich nicht geschrieben, ob meine Urkunden alle besonders toll oder besonders peinlich waren – weil ich wirklich denke, dass sie nichts bedeuten.