Einer meiner Jobs führte mich Tag für Tag in ein Großraumbüro. Dort gab es eine Mitarbeiterin, deren Style hätte es an keine Realschule geschafft ohne abgemahnt zu werden: Bauchfrei, durchsichtig, eng. Bei jeder Bewegung ihrer Computermaus schepperten die billigen Armreife auf dem Schreibtisch. Ihre klobigen Fingerringe polterten auf den Konferenztisch beim Blättern. Ihr Auftreten war adäquat: Laut. Lauter. Exhibitionistisch. Und wir sprechen nicht von der Hoppla-da-bin-ich-Praktikantin. Die Bauchfrei-Frau war keine knackige 14, sondern hatte die 50 wahrscheinlich schon länger hinter sich. Da halfen Botox und Solarium nicht drüber weg, im Gegenteil.

Ich würde mit Style-Anleihen aus dem Rotlichtmilieu immer vorsichtig umgehen. Tatsächlich sehe ich selten überzeugende Interpretationen von Transparenz, Bauchfreiheit, falschen Nägeln oder Hotpants. All diese modischen Spielereien schreien eben doch ziemlich laut, aus welcher Ecke sie kommen: Vom Kiez.

Außer, und nun kommt eine wichtige Einschränkung, sie werden stilsicher kombiniert. Und sie treffen auf eine kongeniale körperliche Ausstattung der Trägerin. Olivia Palermo kann das deswegen eben doch tragen, nur so zum Beispiel. Oder sie sind Teil eines Gesamtkunstwerks, das mit sich, dem Leben, der Kunst und auch der Mode spielt, Beth Ditto zum Beispiel sieht in bauchfrei plus Hotpants umwerfend aus (und das ist eigentlich nicht als Wortwitz gedacht). Oder sie fungieren als modische Demonstration gegen eben jene Spießigkeit, die sich gegen sie wenden würde. Freddy Mercury war nie attraktiver als in seinen engsten, buntesten, aufreizendsten Suits. Nie größere Ikone als in bauchfrei und Hotpants. Eine Hommage an seinen Freigeist jeder Mann, der Ähnliches trägt.

ODER junge Leute tragen das. Sie haben (vielleicht) die Haut dazu, sie haben aber vor allem die Lebensphase dazu. Wann sonst sollte man den Look wagen? Ich sag mal: Bindegewebe und jugendliche Freiheit sind kein Käse, sie werden mit der Zeit nicht besser. Jugendliche suchen sich noch. Vielleicht in der Weiblichkeit, die auf dem Kiez angeboten wird, vielleicht in der kompromisslosen Freiheit eines Freddy Mercury. Vielleicht in dem zufällig gerade in der GALA gezeigten Look. Wer wären wir, darüber zu richten? Seit wann muss man sich in der Schule auch modisch auf einen Job vorbereiten (auf einen White-Collar-Job, wohlgemerkt)? Und warum genau soll die erotische Anziehung, die von Kleidung (potenziell) ausgeht, zensiert werden?

Non scholae, sed vitae discimus, hat unser (übrigens komplett asexueller) Lateinlehrer oft gesagt: Die Mädels und Jungs lernen an der Schule fürs Leben. Nicht nur Vokabeln, sondern auch Außenwirkung. Wie wäre es also, statt ein Verbot auszusprechen, eine Projektwoche zum Thema Mode zu machen? In der die Kids sich anhören können, ob ihr Outfit a) gefällt, b) provoziert oder c) ganz andere Reaktionen auslöst. Und sich danach entscheiden dürfen, ob sie die modische Aussage, die sie demnach senden a) weiter senden b) nicht mehr senden oder c) ignorieren und die Mode davon losgelöst weiter tragen wollen? Erschiene mir nützlicher als ein Verbot.

Die Meinungen zur Bauchfrei-Kollegin waren sicher geteilt. Und ebenso sicher wusste sie darum und hat ihre Entscheidung vor diesem aufgeklärten Hintergrund getroffen. Die Aufgabe von uns Kollegen war es, ihren Style, ihre Lautstärke gegebenenfalls auszuhalten. Genau wie all die Marotten all der anderen Leute im Büro. So ist das Leben, eigentlich auch in der Schule.

⚓ HAMBURG TIPP

Ziemlich jugendliche Hotpants gibt’s gerade bei Monki in der Mönckebergstraße. Für alle Teenager der Stadt: Hingehen, anziehen, Freiheit genießen!

Foto: unsplash / John Sheldon