Neulich war ich mal wieder ganz glücksduselig, weil der Tag mit meinen Kindern so verdammt scheiße gemütlich, lustig, liebevoll und unsterblich war. Aber wisst ihr was? Manchmal fühle ich mich wie ein Betrüger damit, weil ich meinen Kindern nur eine Hälfte des Lebens eröffne. Eigentlich ist ihre Welt noch ein potemkinsches Dorf, und ich achte (noch) peinlich genau darauf, sie nicht hinter die Kulisse gucken zu lassen.

Denn „der Wald“, das ist für sie noch eine Wildnis, voll mit Füchsen, Luchsen und Wölfen – und keine Nutzfläche. „Das Meer“ ist für sie zusammen mit „dem Strand“ der größte Abenteuerspielplatz der Welt, und sie ahnen nichts von Ölbohrplattformen, Fukushima, Mikroplastik oder Temperaturanstiegen und Überfischung. Die „Erde“ und das „Weltall“ sind für sie aufregende Orte, unendlich groß und nur dafür da, um von ihnen entdeckt zu werden. Weltraumschrott? Ozonloch? Eisbären, die fast ausschließlich inzestuös in Zoos gezeugt werden? Ich hasse den Tag, an dem sie davon erfahren, schon jetzt.

Herrje, das einzige Problem, an dem ich sie ungefiltert teilhaben lasse, heißt Karies. Ich sage nichts über Fettleibigkeit, über Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Über Rechtsradikale und Städte, in denen Fahrradfahren die Norm sein könnte, aber dass man das in Hamburg kaum tun kann, weil unsere Politiker lieber einen VW-Chef im Arsch als einen Sattel darunter haben.

Wenn man sich den Zustand der Welt so ansieht, dann muss man sich schon fragen, wo die Politiker in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich ihren Kopf hatten. Wieso verbietet Hamburg nicht einfach To-Go-Becher? Das könnten sie und es wäre kostenneutral und clever und zukunftsfähig, aber SIE HABEN KEINE LUST. Genau wie sie keine Lust auf Fahrradwege haben und auf geilere Müllverwertung, statt dessen liegen in Eimsbüttel immer noch Plastiksäcke auf der Straße jede Woche, 2018.

 

Das Irre ist: Sobald ich mit den Kids abhänge, rückt das so weit weg. Ein Teil der Freude an Kindern ist purer Eskapismus. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter der fleischgewordene Arztroman, bar jeder Realität und Vernunft. Alle 14 Minuten wird jemand mit einer deutschen Waffe getötet? Hey, hier rollt alle 14 Sekunden ein Fleischklops vom Teller mit großem Gejohle. Willkommen in der Filterbubble namens Familie. Macht‘s euch gemütlich, denn da draußen wartet die fiese, picklige, unfreundliche Realität. Igitt, kein Wunder, dass die sich keinen Insta-Account eingerichtet hat.

Manchmal fährt bei den besonders schönen Momenten Melancholie mit bei mir. Weil wir ihnen nicht die Welt hinterlassen werden, die sie verdient hätten. Weil die Zeit der seligen Unwissenheit irgendwann vorbei sein wird. Weil die Probleme groß und die Lösungen nicht da sind. „Was habt ihr damals gemacht?“, werden sie mich irgendwann fragen. Und ich kann nicht sagen, wir haben die Welt gerettet. Aber wir haben versucht, wenig Plastik zu produzieren, wenig Fleisch gegessen und Fernreisen dosiert. Wir haben lokal und bio gekauft und versucht, uns nicht mit unnötigem Konsum die Birne wegzuballern. Das klingt so irrwitzig wenig, denn wir haben nicht den Spessartwald gekauft, um ihn zu renaturieren. Ich kann nur sagen: Ich versuche, der Erde möglichst wenig zu schaden. Ich gehe wählen. Ja, mit euch, meinen Kindern, ballere ich mich gerne aus der Realität. Aber abseits davon bin ich da und wach. Und ich hoffe, dass ihr das Rüstzeug haben werdet, mit der Realität klug umzugehen.

 

Photo by Jason Ortego on Unsplash

 

⚓ HAMBURG-TIPP

Demnächst erscheint mein Hamburg-Reiseführer für Kids im emons Verlag. Mit 111 Tipps! Und ich will natürlich noch nicht zu viele verraten, aber einen der Orte, die ebenso unschuldig wie eskapistisch und schön sind: Die Rissener Kuhle. Soooo schön dort!