Irgendwann kommt der Moment, da entdecken wir: Unsere Eltern waren ja auch mal jung! Blättern gespannt in alten Fotoalben und fragen uns, wie und wer sie wohl so waren. Wahrscheinlich mündet das oft in ein paar „Du, wie war das denn damals“-Gesprächen – und damit hat sich`s. Denn früher war früher, und heute ist heute. Da ging es der Germanistin Iris Bork-Goldfield anders. Denn je mehr sie über die Vergangenheit ihres Vaters erfuhr und forschte, desto spannender und wichtiger präsentierte die sich – auch und vor allem in Bezug zur Gegenwart.

Gerade hat sie sogar ein Buch über ihn geschrieben. WOW!

Aber von vorn: Werner Bork war einer der frühzeitig klugen Köpfe, die bei der Teilung Deutschlands opponierten. Grob vereinfachend war das Daseinsgefühl, das ihn und seine Freunde damals beherrschte: Von einem Unrechtsstaat in den nächsten. Von Ermordungen hier zu Ermordungen dort. Er sah, wie die STASI es schon wieder schaffte, Mitläufer und Täter zu rekrutieren, gerade nachdem der unfassbare Horror des Dritten Reichs besiegt war.

Da er im Osten Deutschlands lebte, versuchte er mit Freunden, eine Widerstandsbewegung aufzubauen. Sie schmuggelten kritische Schriften aus Westberlin in die gerade entstehende DDR. Schrieben Proteste. Druckten Flugblätter und ließen sie über Versammlungen regnen. Acht von ihnen wurden dafür ermordet. Alles noch beinahe Jugendliche, manche nicht mal beteiligt am Geschehen. Sie wurden von der STASI an ein sowjetisches Militärtribunal übergeben, zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet — als taktische Einschüchterung. Ihre Leben geopfert auf dem Altar eines totalitären Systems, das von  Abschreckung lebt.

Werner Bork floh nach West-Berlin, entkam nur knapp einer Entführung durch die STASI und somit seinem Todesurteil. Er ging in den Westen – und lebte erst im Ausland, zuletzt wurde er Wahl-Hamburger. Und er kämpfte nach der Wiedervereinigung noch einmal: Dafür, dass diese acht eine angemessene Gedenkstätte in ihrer Heimat Werder bekämen. Und seine Tochter Iris? Die ist heute Professorin für German Studies in den USA. Und hat ihren eigenen Vater zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht. Heraus kam ein Buch über ihren Vater, das historisch interessant ist, klar – aber für mich auch eine der ergreifendsten Respektsbekundungen an einen Vater, die ich kenne.

Iris war so nett, mir per Email ein paar Fragen zu beantworten!

Wann haben Sie entdeckt, dass das politische Engagement Ihres Vaters außergewöhnlich war?

Mein Vater hat erst relativ spät über seine Arbeit als Widerstandskämpfer gesprochen. Eigentlich erst nach dem Fall der Mauer. Da lebte ich schon mehrere Jahre in den USA. Doch er hat mir immer das Gefühl vermittelt, dass es wirklich etwas Besonderes ist, in einer Demokratie zu leben, sie nicht als etwas Gegebenes hinzunehmen, sondern aktiv an ihr mitzuwirken. So ist z.B. der Gang zur Wahlurne für mich nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Pflicht. 

Kann man sagen, dass Ihr Vater ein Vorbild für Sie ist? Eine Art moralischer Kompass?

Auf jeden Fall. Mein Vater steht zu dem, was er sagt und hat sich sein Leben lang für Freiheit und Gerechtigkeit eingesetzt. Ich kann mich hundertprozentig auf ihn verlassen und weiß, dass er immer für mich und die Familie da ist. Eigenschaften, die ich von ihm gelernt und übernommen habe. Ich bewundere auch sein Engagement für die Schlumper, eine Gruppe von Hamburger Künstlern mit Behinderung und hoffe, dass ich mich ebenso wie er, erfolgreich für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen werde.

Ist Ihr Buch eine reine Forschungsarbeit? Oder auch eine Hommage an den Vater?

Zweifellos ist das Buch eine Hommage an meinen Vater, aber nicht nur an ihn, sondern auch an seine Freunde. Mir war wichtig, zu zeigen, dass die Aktionen der jungen Leute gefährlich waren. Die Gefahr war real und nicht erfunden und das konnte und wollte ich wissenschaftlich belegen. Die Freunde meines Vaters sollen nicht umsonst gestorben und Jahre in Gefängnissen und Straflagern gesessen haben. Ihr Mut und ihr Engagement für Freiheit und Demokratie soll nicht vergessen werden. Doch darüber hinaus hoffe ich auch, dass die Geschichte meines Vaters zeigt, dass „Demokratie […] nicht nur gegen diktatorische Machthaber erkämpft und gegen totalitäre Ideen verteidigt werden [muss]. Auch im Alltag einer parlamentarischen Demokratie drohen ihr Gefahren, wenn zivilgesellschaftliches Engagement erlahmt und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht mehr gehalten wird.“ [Ulrike Poppe, Vorwort, S. 9]

 

BUCH-TIPP

Das Buch der Hamburger Tochter Iris Bork-Goldfield über ihren Vater: „Wir wollten was tun“ Widerstand von Jugendlichen in Werder an der Havel 1949-1953. Metropol-Verlag, 19 Euro 

 

HAMBURG-TIPP

„Die Schlumper“ sind eine Hamburger Ateliergemeinschaft, in der Menschen mit verschiedenen Behinderungen und künstlerisch individuellen Positionen frei schaffen und wirken können. Noch bis 27. September sind ausgewählte Werke in der „Galerie der Schlumper“, Marktstraße 131, zu sehen.