
Ich schenk dir mein Herz (aber erst, wenn ich`s nicht mehr brauche)
Ich habe seit Ewigkeiten einen Organspendeausweis, und neulich habe ich mal versucht zu verstehen, warum so viele Menschen sich gegen einen entscheiden. Hätte ja sein können, dass mich das total überzeugt und ich plötzlich auch keinen mehr will!
Aber, und da bin ich durchaus offen für Links oder Argumente: Es gab NICHTS, was mich von meinem Ausweis hätte abbringen können. Ich will hier gerne erklären, warum (dann können meine Kinder das schööön nachlesen, sollte es wirklich mal so weit sein).
1. Die Angst, als Spender früher „den Saft abgedreht“ bekommen
Eine Organspende kommt nur dann infrage (außer zum Beispiel bei einer Niere oder einem Stück der Leber, die man lebend spenden kann), wenn man hirntot ist. Heißt: Zwei unabhängige Experten müssen den nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstammes festgestellt haben. Niemandem werden also Hilfsmaßnahmen verwehrt, weil er potenzieller Spender ist. Solange es Hoffnung gibt, ist da kein Skalpell im Raum. Dahinter müsste die Idee stecken, dass der / die Empfänger meiner Organe wertvoller ist als ich – sowas denken Ärzte aber nicht. Die kennen weder mich, noch die Anderen.
2. Die Angst, nicht „in Würde“ zu sterben
Nun wird es ein wenig drastisch, aber ich bin leider der Überzeugung: In einem Krankenhausbett zu liegen mit irreversiblem Hirnfunktionsausfall, ist per se nicht sehr würdevoll, denn man kann dann nicht mehr allein auf die Toilette, wäscht sich nicht mehr und hat auch keinen Instagram-tauglichen Gesichtsausdruck mehr. Menschen sind dann rund um die Uhr damit beschäftigt, mir Windeln zu wechseln, Spucke aus dem Gesicht zu nehmen oder mich umzubetten. Ich kann nicht sehen, wie ein operativer Eingriff hier negativ wirken sollte auf mein spirituelles Dasein, mein Karma oder meine Würde. Noch mal: Es geht hier um mich, wenn ich ohnehin bereits tot bin und die Beatmung eingestellt wird. Das würde mit OP eintreten – oder ohne, in oben beschriebenem Zustand.
Übrigens gibt es auch Körperspenden, denn Medizinstudenten lernen an gespendeten Leichnamen. Bevor der Kurs losgeht, gibt es am UKE eine sehr liebevolle, Respekt schenkende Zeremonie, in der die Studenten der Spender gedenken und ihnen danken. Ich denke, das hat sehr viel Würde. Und ich denke auch, es gibt eine Analogie in der Organspende: Die Dankbarkeit der Empfänger.
3. Die Angst, da wäre noch was in mir, was Leben ist
An der Stelle muss ich Kritikern in ein paar Punkten Recht geben. Es gab schon Hirntote, die noch menstruierten – zumindest ihr Hormonhaushalt muss also noch gesteuert gewesen sein. Allerdings lässt sich das erklären: Der Hormonhaushalt wird nicht ausschließlich über das Großhirn, Kleinhirn und den Hirnstamm reguliert und bleibt, bis zu einem gewissen Grad, durch die Zirkulation von Sauerstoff stabil.
Zudem gab es Betroffene, deren Puls schwankte. Das als Leben zu bezeichnen, hieße die Definition von „tot“ versus „lebendig“ anders zu fassen, als ich das für meine Organspende tun würde. Ich kann hier im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte versichern: Ein Leben, in dem ich nur noch fähig bin zu menstruieren und einen Puls steigen oder fallen zu lassen, ist für mich eine sehr konstruierte Definition von „Leben“. Ich fühle mich lebendig, wenn ich in Paris Crêpes esse oder meine Kinder küsse, nicht, wenn ich über endokrinologische Vorgänge verfüge.
Das heißt nicht, dass ich in dem Punkt über Andere genauso entscheiden würde, aber für mich möchte ich beschließen: Auch mit Hormonen und Puls wäre ich dennoch hirntot, emotional tot, körperlich tot. Und dann bin ich gerne bereit, meine Organe zu spenden.
4. Der Organspende-Skandal
Damals ging es – ganz grob – darum, dass die Reihenfolge der Empfänger auf Listen geändert wurde. Zum Beispiel wurden manche Leberwerte von Ärzten schlechter eingetragen, als sie es tatsächlich waren, um die Empfänger höher rutschen zu lassen. Das ist falsch, moralisch unfassbar daneben und musste den Ruf der Sache schädigen, sehe ich total ein.
Aber nehme ich mal an, ich wäre Spender, was hätte das geändert? Mein Herz schlüge jetzt nicht in der Brust des einen Menschen, den ich nicht kannte, sondern eines anderen. Ich hätte ein Leben gerettet, wer wäre ich, zu entscheiden, wessen das sein sollte? Es gibt Palästinenser, die die Organe ihres Kindes einem israelischen Kind gespendet haben, obwohl ihr eigenes von israelischen Soldaten erschossen wurde. Dann kann ich das doch wohl mit einem Patienten, der zu hoch gerutscht ist auf der Liste? Make peace, love, Organspende, not Moralkeule.
Über das Vorgehen der Ärzte damals bin ich trotzdem absolut empört! Das Risiko, wieder dem „falschen“ Empfänger transplantiert zu werden? Geh ich locker ein, denn jedes Leben ist gleich viel wert. (Das Verhalten der Ärzte wäre dann falsch. Aber meines empfände ich immer noch als richtig). Übrigens: Was, wenn ich dem richtigen Empfänger zugeordnet würde? Wenn alles korrekt abliefe? Das Risiko geht man mit einer Nicht-Spende ein: Falsch verdächtigt zu haben.
5. Sollte mein Mann oder eines meiner Kinder ein Herz brauchen, eine Niere, Leber oder ein anderes wichtiges Körperteil, dann wäre ich unfassbar, unsagbar und lebensverändernd dankbar über eine Spende. Über jemanden, der so abgewogen hat wie ich. Manche Patienten bekommen nach einer Transplantation Jahrzehnte geschenkt. Sie können ihre Kinder aufwachsen sehen, und ihre Kinder haben Eltern. Das Risiko, hier wirklich falsch zu entscheiden, indem ich spende, erscheint mir mikroskopisch winzig, also nicht vorhanden. Ich spende. (Und klar hoffe ich, dass die Situation nie kommt. Aber wenn doch, dann machen wir eben alle das Beste draus!)