Im Frühling starb der fünfjährige Matteo aus Hamburg – weil ein Zug das Auto seines Opas von der Straße rammte. Seine Mutter Marzia (36) kämpft seitdem für Schranken und Stopp-Schilder an Bahnübergängen. Und sie selbst? Rudert irgendwie ins Leben zurück. Ein Leben, das nie mehr so sein wird wie vorher. Weil die Lücke bleibt. Der Schmerz immer lauert. Und es trotzdem weitergehen muss – auch mit der Arbeit. Hanse-Mamis hat sie erklärt, wie sie das macht.

Auf deiner Seite sagst du: Die Idee zu deinem Kindermode-Shop (hier zu bestaunen) hattest du, als dein Sohn Matteo zur Welt kam. Du musstest Matteo vor kurzem wieder hergeben: Er starb bei einem Unfall an einem unbeschrankten Bahnübergang. Kannst du davon erzählen?

Ja, vor einem knappen halben Jahr, am 11.05.2015 hatten wir während eines Bauernhofurlaubs mit meinen Eltern einen schweren Unfall. Wir waren auf dem Rückweg von einem wunderschönen Tag in St. Peter Ording und unser Auto wurde nur wenige Meter vor dem Bauernhof an einen technisch nicht gesicherten Bahnübergang von einem Zug erfasst… Mein Vater, meine Mutter und ich wurden schwer verletzt, meine Tochter (damals knapp 2) hatte nur einen blauen Flecken und nen Kratzer, Matteo wurde über 1 Stunde wiederbelebt, aber es konnte nichts mehr für ihn getan werden…

Hast du Erinnerungen an das Unglück?

Ich war die Einzige, die den Unfall fast komplett miterlebt hat. Ich habe den Zug in der letzten Sekunde vor dem Aufprall gesehen, ich bin im Auto wieder zu mir gekommen, mit furchtbaren Schmerzen wegen der gebrochenen Hüfte und dem gebrochenen Becken. Mein Vater, der Gott sei Dank wieder fast der Alte ist – was wirklich an ein Wunder Gottes grenzt, bei den Verletzungen die er hatte – erinnert sich an GAR nichts! Nicht mal an den gemeinsamen Urlaub. Wenn er Fotos sieht, kann er sich nicht daran erinnern, dort mit den Kindern und mir gewesen zu sein…

Dachtest du nach Matteos Tod: Das mit dem Shop geht nicht mehr?


Ja! Ganz ehrlich: JA! Genau das habe ich erst gedacht. Ich nähe für mein Leben gern, und Matteo hat mich immer wieder inspiriert. Hier lag noch eine fertige Hose zu Hause, die ich direkt vor dem Urlaub für ihn genäht hatte. Mit Sternflicken aus Wachstuch an den Knien, weil die immer als Erstes durch waren, und den meisten Dreck abkriegten. Ich hatte das zum ersten Mal ausprobiert, und wollte testen, ob das was bringt. Diese Hose hatte er kurz vor dem Urlaub einmal an, um zu testen wie die Weite am Bauch ist. Sie war zu groß, also musste ich sie enger machen. Deshalb lag sie noch genauso da, als ich 2,5 Wochen später aus dem KH kam…

Er ist in komplett selbstgenähter Montur gestorben, sein Shirt hatte ich erst kurze Zeit vorher fertig gemacht, seine Hose war seine Lieblings-Tobehose, die hatte er zum 3. (!) Geburtstag bekommen, mit dicken Jeans- und Sheepskin-Sternenflicken an den Knien – die passte immer noch! Selbst mit 5!

Das alles schießt einem dann sofort durch den Kopf… „Nie mehr wirst du tolle Jungs-Sachen kreiren und für dein Kind nähen! Nur noch Mädchen-Klamotten!!!“ Aber alle haben zu mir gesagt, dass Matteo das nicht wollen würde. Er würde wollen, dass ich weiter mache, und andere Kinder benähe. Seine Lieblings-Farben waren immer „lila, blau und bunt!“ …Bunt… ja, so wie Mama halt alles näht. Immer bunt! Deshalb ja schließlich auch „Ma Colori“ als Name des Labels, und deshalb auch der Regenbogen im Logo.

Ist es jetzt schwieriger, Stoff-Ideen zu haben? Oder sogar leichter, weil die Konzentration darauf dich ablenkt?

Ich habe seitdem noch nicht wieder Stoffe designt, aber das Nähen lenkt mich schon auch ab. Es ist eine gute Beschäftigung, etwas Bleibendes zu schaffen. Das freut einen immer.

Wie machst du das – Leben laufen lassen und der Trauer Zeitinseln einräumen? Oder ist die Trauer immer da – und du bekommst nur noch zu einem Teil mit, wie du den Rest bewältigst?

Sowohl als auch, die Trauer kommt in Wellen. Ich arbeite und lenke mich damit gut ab (auch, wenn mich meine Arbeit immer wieder an Matteo erinnert, es ist ja auch auf eine Art und Weise schön, dass sie das tut!), und versuche morgens vorher oder abends, wenn die kleine Maus im Bett ist, zu arbeiten. Aber manchmal überkommt es mich auch mitten während der Arbeit. Dann trauer ich solange es dauert und mache danach weiter. Anders geht es nicht. Ich muss einfach die Trauer zulassen, sonst platze ich!

Wie schaffst Du es, im Alltag klar zu kommen mit dem Wissen, dass du Matteo nie wieder siehst?

Das, was mir Mut macht nach vorne zu blicken, ist, dass ich weiß, dass ich ihn eines Tages im Himmel wieder sehen werde! Das weiß ich einfach! Gott hat jetzt einen Engel mehr dort oben, und er passt gut auf ihn auf! Ich werde ihn also nicht „nie wieder“ sehen, sondern nur solange ich lebe. Danach wird es eine fette Wiedersehensparty im Himmel geben! Und ohne meinen Mann und meine kleine Tochter würde ich wahrscheinlich auch nicht weiter machen können. Die beiden geben mir viel Kraft! Vor allem die kleine Maus! Sie bringt mich zum Lachen…

Wie geht deine Tochter mit dem Verlust um?

Obwohl sie ihren großen Bruder auch unglaublich doll vermisst, geht sie mit einer Leichtigkeit daran, wie es nur kleine Kinder tun: sie lebt im hier und jetzt! Zwar fragt sie öfter, wann er wieder kommt (und antwortet dann schon selbst darauf, weil sie weiß was Mama ihr sagt), aber sie würde ihn sooo gerne wieder zu Hause haben, das merkt man dann. Wenn ich ihr sage, dass Matteo nie wieder zu uns nach Hause kommt, sann quengelt sie und sagt „Biiitte Mama, Bitte, bitte, bitte!!!“ so, wie wenn sie etwas unbedingt von ganzem Herzen möchte…

Wem gibst Du die Schuld an eurem Unfall? ich meine, deine Vater saß am Steuer… Und Gott hat es zugelassen, hat ihn nicht verhindert…

Das ist richtig, mein Vater saß am Steuer, aber da ich nicht weiß, ob ich es in dieser Situation besser gemacht hätte, kann ich ihn dafür einfach nicht schuldig machen! Ich bin niemand, der den ersten Stein wirft, denn ich weiß nicht, ob ich’s besser hätte machen können! Und Gott trifft keine Schuld, denn er hat weder schnelle Züge, noch Schienen, noch leise, gut abgedichtete Autos geschaffen.

Du hast nicht deinen Glauben verloren?

Nein. Anstatt meinen Glauben zu erschüttern, hat unser Unfall ihn verstärkt. Meine Gemeinde hat mir so unglaublich geholfen in den drei Monaten, die ich nach dem Unfall auf dem Sofa lag und nur mit Rollstuhl und Krücken gehen konnte. Sie haben mir täglich Essen organisiert, jeden Nachmittag kam jemand um sich mit um meine kleine Maus zu kümmern, denn ich konnte ja nicht wirklich. Das hat mir einfach gezeigt, dass Gott hier auch durch andere Menschen wirkt, da wo christliche Nächstenliebe gelebt wird, nicht nur gepredigt! Die Gebete, die seit dem Unfall überall statt finden, haben mich bisher auch total getragen. Ohne das alles, wäre ich wohl heute auch nicht mehr da. Gott war also da und hat mir geholfen, mich getragen, wenn auch in verschiedenster Form, er hat mich nicht im Stich gelassen! Und welche Mutter würde sich nicht wünschen sich nie wieder Sorgen um ihr Kind machen zu müssen? Das muss ich nun bei Matteo nicht mehr. Auch wenn ich dafür den größten Preis bezahlen musste, den eine Mutter zahlen kann.

Sprichst du manchmal mit Matteo?

Ich würde ihm so gerne noch so viel erzählen (so wie ich es in dem Brief getan habe, den ich ihm geschrieben habe: Hier gerne nachlesen). Manchmal schreibe ich SMS an Matteo. Ich schicke sie an eine nicht existierende Nummer, aber allein der Gedanke ihm meine Gedanken mitzuteilen, hilft mir wieder mich mehr auf die Zeit zu freuen wenn ich ihn eines Tages wieder sehe, wenn keine Trauer mehr bei mir herrschen wird, sondern Wiedersehensfreude. Bis dahin fließt noch viiiel Wasser die Elbe runter, das weiß ich, aber es ist ein Trost, auf den man sich freuen kann, wenn man im Alltag zu viel Sehnsucht hat…

Du hast eine Petition ins Leben gerufen, die Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen in Zukunft verhindern soll – fast 50.000 Menschen haben sie schon unterzeichnet. Was bedeutet dir die Petition?

Die Petition war ein wichtiger Gedanke, mit dem ich versuche dem Tod von Matteo einen Sinn zu geben. Wir Menschen machen alle Fehler, wenn aber so viele Menschen Fehler machen wie in diesem Fall (rund 1.000 Unfälle mit 50 Toten an allen Bahnübergängen, laut statistischem Bundesamt!), muss etwas geschehen! Wir Menschen brauchen Hinweise, Hilfen um manche Fehler zu vermeiden! Wöchentlich passieren Unfälle an Bahnübergängen, die man in der Presse findet – und das sind wirklich die wenigsten. Vor kurzer Zeit gab es in Bad Vilbel sogar eine Polizeistreife, die von einem Zug an einem Übergang mitgenommen wurde! Und ganz ehrlich: Wenn selbst 2 Polizisten (die Gott sei dank überlebt haben!) so etwas passiert, wem muss es noch passieren, damit endlich etwas verändert wird?

Aber was könnte das sein?

40% (!!!) aller Übergänge sind technisch gar nicht gesichert, das heißt dort ist weder Schranke, noch Ampel, noch Halbschranke oder Licht oder sonst etwas. Allein ein Andreaskreuz verweist darauf, dass ein Zug kreuzt! Das ist einfach zu wenig, sonst würde es weniger Unfälle geben. Letztlich sind KEINE Übergänge die beste Möglichkeit, Unfälle zu vermeiden, also Unter- oder Überführungen zu bauen. Aber es ist klar, dass das einfach zu lange dauert! Die Zahl aller Übergänge in Deutschland hat sich in den letzten 50 Jahren halbiert! Derzeit haben wir noch rund 18.000 Übergänge in Deutschland. Wenn der Rückbau im selben Schneckentempo weitergeht, wird es bis zum endgültigen Fehlen der Übergänge ca. 50.000 Unfälle mit ca. 2.500 Toten gegeben haben! DAS finde ich von Bund, Kommunen und der Bahn unverantwortlich!

Die Politik fürchtet wahrscheinlich die Kosten.

Mir wird immer wieder gesagt, dass das alles in „keinem Verhältnis“ stehe. Aber ein Stoppschild würde nur etwa 150 Euro (!!!) kosten, man könnte damit aber viele Unfälle verhindern, denn Menschen reagieren laut Studien eher auf Stopp-Schilder, als auf Andreaskreuze.

Da hoffst du auf den Druck der Masse?

Genau. Deshalb zählt jede Stimme! Ich möchte die Stimmen Verkehrsminister Dobrindt persönlich überreichen und mit ihm über mögliche Lösungen sprechen, denn wenn ich als Laie schon über’s Internet mehr als sechs verschiedene Sicherungsmöglichkeiten für jedes Budget finde, wie viele Ideen und Möglichkeiten haben dann Spezialisten noch auf Lager?





Wir drücken Marzia dafür die Daumen – und haben natürlich auch unterzeichnet. Übrigens kamen wir auf Marzia nicht über die Petition – sondern weil wir Shirts von ihr bestellt hatten. Die Stoffe haben wir uns auf der Seite selbst ausgesucht – und Kids und Eltern lieben die Teile. Es wäre zu schön, wenn wir Marzia mit der Arbeit an den Shirts wirklich ein bisschen von ihrer Trauer abgelenkt hätten.

 

Wolltest du immer Designerin werden?

Ich komme aus einer sehr kreativen Familie: Meine Mutter ist Grafikdesignerin, mein Bruder Mediengestalter, mein Vater Werbekaufmann und Wortkünstler. Und ich wollte auch zuerst Grafikdesign studieren. Nachdem aber alles auf Computer umgestellt wurde, hatte ich keine Lust darauf. Ich wollte klassisch am Reißbrett sitzen und mit den Händen arbeiten. Heute ist das anders, heute hätte ich voll Bock auf Grafikdesign am Computer.

Damals hast du deswegen einen Umweg genommen.

Genau. Ich bin 2000 nach Hamburg gezogen um hier Schauspiel zu lernen, denn das war schon ein Traum. Spielen, singen, auf der Bühne stehen. Während des Studiums hab ich dann gemerkt, dass das nichts für meine „zart besaitete Seele“ ist, denn man braucht wirklich ganz schön Ellenbogen, um sich auf dem Markt zu behaupten. Also hab ich mich wieder mehr der Musik verschrieben, in einer A Cappella Band gesungen (leider gibt’s uns nicht mehr: www.nostringsattached.de), im Gospelchor gesungen, auf Hochzeiten singe ich nach wie vor (man kann mich engagieren: www.myspace.com/two4yoursoul). Außerdem habe ich beim Radio nen kleinen Job gehabt und mich beim Fernsehen als Moderatorin versucht (www.marzia.de). Du merkst, Kreativität lag mir schon immer.

Aber dann kam dein Kind.

Genau. 2010 habe ich meinen Sohn Matteo bekommen – der mir ein großes Rätsel aufgab: Was ziehe ich einem kleinen Jungen an, was ihn nicht zum „kleinen Mann“ macht? Denn das Gefühl hatte ich, wenn ich in den Geschäften in die Regale blickte: kleine Hemden, kleine Jeans, aber nichts wirklich Verspieltes, Buntes, so wie man es für Mädchen findet. Das hat mich auf die Idee gebracht, doch einfach mal mein altes Hobby auszukramen, was ich mit 13/14 schon hatte: Nähen!

Das Hobby wurde irgendwann professionell?

Ja. Erst hab ich angefangen, ihm selbst Sachen zu nähen. Dazu kamen dann Sachen, die das Leben als Mutter erleichtern: Schnullerhalstücher, Sockenstopper, Rotzfänger. Weil das alles so gut um mich herum ankam, habe ich dauernd Anfragen bekommen das doch auch für Andere zu machen, also tat ich das. Tja, und weil bunte Kinderstoffe 2011 noch nicht sooo verbreitet waren, und es so eine begrenzte Auswahl zur Verarbeitung gab, hab ich dann gedacht „Machste dir einfach selbst Welche!“ So ist mein Label „Ma Colori“ entstanden. 2012-2013 hab ich dann an der Modeschule Altona einen Kurs in Schnitt-Konstruktion und Verarbeitung belegt, der mir noch ganz viel super Wissen vermittelte.

Woher kommen deine Ideen für Stoffmuster?


Ich lasse mich inspirieren. *hehe* Ich hab immer drei Stoffe in einer Reihe kreirt, die vom Aufbau her ähnlich sind, aber verschiedene Motive und Farben haben: Also zum Beispiel 3 mal Süßigkeiten – einmal Bonbons auf rot, einmal Lollis auf grün, einmal Cupcakes auf hellblau. Oder Tiere: Elefanten auf blau, Zebras auf grün und Eulen auf gelb. Und mir war wichtig, dass man möglichst viele Stoffe hat, die sowohl Jungs als auch Mädchen tragen können. Außerdem liebe ich retro! Alles was aus den 60er/70ern ist mag ich total! Graziela hat mich inspiriert, Smafolk auch.

Hast du ein Business-Ziel mit dem Shop?


Ich würde schon gern größer werden damit, allerdings schaffe ich das momentan zeitlich leider gar nicht. Am liebsten würde ich auch Damenbekleidung anbieten, und auch dafür eigene Stoffe designen, aber da ich auch alles selbst weiterverarbeite, ist das momentan zu knapp. Meine 2,5-jährige Tochter ist nur 4 Tage die Woche für 5 Stunden bei der Tagesmutter, und Haus und Garten fordern auch ihren Tribut…

⚓ HAMBURG-TIPP

Ablenkung für Marzia, Lieblingsteile für die Kinder: Unter www.macolori.de könnt ihr euch euer persönliches Teil zusammenstellen. Wir lieben unsere Shirts und geben diese Empfehlung deswegen wirklich gerne.

Disclaimer: Dieser Blog ist nicht kommerziell. Alle Empfehlungen entsprechen einfach nur unseren Erfahrungen.