
Rosa plus blau wäre bunt
Eine der desillusionierenden Erkenntnisse, wenn man ein Kind bekommt: Es gibt einen Haufen Mist, den man vorher gar nicht wahrgenommen hat. Farben zum Beispiel. Oder anders: Dann hast du einen Jungen, der gerne Mädchenklamotten trägt. Das Mädchen, das Cowboy spielen will. Den Kleinen, der lieber reiten will als Fußball zu spielen und der Rosa und Glitzer mag. Und das Mädchen, das nachmittags lieber Zahlenrätsel lösen will als zu basteln. Alles cool, aber schon Vierjährige teilen dir plötzlich mit: „Das ist doch nix für Mädchen“ oder „Das machen ja nur die Jungs“. Und sei es, weil ihre Altersgenossen das sagen. Nie sind Antennen feiner als in der Kindheit!
Nun könnte dieser Text abbiegen zu Gruppenzwang und wie man Kindern beibringt, sich ihm nicht zu beugen. Symptombehandlung.
Denn dann setzt du dich hin und zeigst ihnen auf Youtube oder im RL reitende Männer, bergsteigende Frauen, eine Bundeskanzlerin. Männer in Glitzerklamotten, Frauen beim Boxen, eine Bundeskanzlerin und einen weinenden Justin Trudeau. Du zeigst, dass man alles sein kann, zum Beispiel transsexuell oder eine Bundeskanzlerin – theoretisch (und liest ihnen noch schlaue Bücher vor wie das hier). Vielleicht bist du sogar der anbetungswürdige Vater, der auch mal in Frauenklamotten steigt, um ein Normalitätsgefühl herzustellen, das dein Kind draußen nicht kriegt, wie der hier. „Es ist nicht meine Aufgabe, meinen Sohn von seiner Vorliebe für Röcke abzuhalten. Es ist meine Aufgabe, ihm dabei zu helfen, sie selbstbewusst zu tragen.“
Aber dann besuchen sie ihre Freunde, und sehen: Mädchenzimmer sind rosa. Mädchen gehen zum Ballett. Und Jungen gehen nun mal zum Fußball. Fußball. Fußball. Und danach in ihre nicht-rosa Zimmer. Dann können sich Eltern, die „anders“ auch gut finden, und Erzieher sich den Mund fusselig reden, die Kinder haben ja Augen im Kopf und einen angeborenen Sinn für Mehrheiten, und sehen: Es gibt ANDERS und ANDERS fühlt sich scheiße an. Und es gibt NORMAL, und dafür werde ich nicht ausgelacht. Und so sind die beiden Konzepte schon in den Köpfen drin.
Und jetzt will ich aber natürlich auch nicht über Eltern schreiben, wie Kacke diese heteronormative, vermeintlich limitierende Welt ist, die sie ihren Kindern da eröffnen, weil ja auch dieses „normal“ erlaubt sein muss. Dann mag ein Junge eben Fußball und ein Mädchen rosa, ist doch cool. Nur: In der Absolutheit, in der einem exakt diese Verteilung begegnet, kann das nicht statistische Normalverteilung sein.
Das Massenphänomen des Gender-Mainstreamings in schon jüngsten Jahren scheint sich in den Augen mancher Leute aus dem anonym-Kommerziellen zu speisen („Guck ma, alle Firmen produzieren jetzt rosa und blaue Bobbycars / Schokoladeneier / komplett geschlechtergetrennte Klamotten“). Aber so ist es nicht. WIR machen das. WIR richten uns die weiße Designerbude ein und setzen ein komplett pinkes Kinderzimmer rein. WIR fahren unsere Töchter zum Ballett und unsere Söhne zum Fußball, und WIR halten diese Trennung aufrecht. Echt wahr: Eltern kämpfen im 21. Jahrhundert in Baden-Württemberg gegen gendersensitive Lehrpläne, mit der Begründung: „Ich habe Angst, dass mein Sohn dann schwul wird, wenn er erfährt, dass es sowas gibt.“ (Gerade im Hörfunk gehört, in diesem klugen, einstündigen Feature.)
Und an der Stelle wäre ich doch geneigt, intolerant gegen die Intoleranten zu werden, weil was IST denn, wenn dein Sohn schwul wird oder deine Tochter lesbisch? Wäre es nicht eine der schönsten und tiefgreifendsten Aufgaben der Eltern, die Brust breit zu machen und da zu sein für ihr Kind, so wie es ist, sein will, wird? Oder kaufst du dann noch mehr dunkelblauen Fußball-Pimmel-Kram, damit dein Junge sich endlich angenommen fühlt in der Heterowelt, die von DEN ANDEREN gemacht wird, aber nicht von dir? Und nein, ich verlasse hier kein Niveau, den Ausdruck „Pimmelkram“ habe ich bei Donna Leon mal gelesen, die hat ihn von einer Studentin, angewendet auf einen Düsenjet-Piloten, der so tief flog, dass er eine Seilbahn kappte. Resultat: Mehrere Tote. Dazu fiel ihr nix anderes ein als „Pimmelkram“, weil klar war, dass da Testosteron am Steuer-, hihi, Knüppel gesessen haben musste. Weil: Frauen sind pink und Männer Piloten. Ist das nicht traurig?
Ach, es ist ein weites Feld mit dem Gendern, aber es begegnet dir an jeder Ecke mit Kindern. Nur ein Beispiel: Ich wollte neulich ein personalisierbares Buch für meine Jungs kaufen, ein Verlag aus Hamburg macht das: Da wird der Name deines Kindes in die Co-Heldenrolle eingesetzt, so dass man dann vorlesen kann, dass zum Beispiel Hanno mit Bibi Blocksberg ein krasses Abenteuer erlebt. Cool, dachte ich (meine Gedanken sind bisweilen sprachlich leicht verarmt), aber echt, kein Scheiß, Bibi Blocksberg ist da nur für Mädchen, da wird also nur der Name deiner Tochter eingesetzt, wie der Verlag etwas peinlich berührt zugab, als ich ungläubig nachfragte. Das gab es gar nicht für Jungen. Also hab ich mein Geld zurückgefordert, weil nö: Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Ersatz-Drachenviecher, die meine Jungs gar nicht kennen, ich wollte Bibi. SIE wollten Bibi. This is as far as it gets: Bibi Blocksberg, da haut es mir glatt die Muschi aus dem Höschen die Verwunderung zu den Ohren raus.
Und da muss man doch irgendwann ins Grübeln kommen, wenn 2017 Bibi Blocksberg Mädchen vorbehalten ist und Reiten auch und Ballett auch, und Fußball und Ninjas und Düsenjets sind für Jungen und Menschen in Süddeutschland haben Angst, dass ihre Kinder nicht hetero sind. Das sind wahrscheinlich die Gleichen, die Angst haben, dass ihre Mädchen irgendwann Schleier tragen müssen wegen der Islamisierung. Das ist dann doof und diskriminierend und frauenfeindlich, so deren plötzlich ach-so-feministische Haltung. Ich weiß nicht, was mit deren Weltbild loswäre, wenn Muslimas plötzlich Fußball spielten und lesbisch wären. Die Grenzen des so gedachten Feminismus scheinen mir sehr eng.
Hergott, Princess Di wurde zur Ikone, weil sie Aidskranken ohne Handschuhe die Hand schüttelte, das ist 25 Jahre her, und heute wird ein Dreijähriger nicht zum „Mädchen-Kindergeburtstag“ eingeladen, „weil sich da alle als Prinzessin verkleiden“ – als ob Jungs da keinen Spaß dran hätten, und wo ist da der #Aufschrei? Und diskriminieren wir Eltern nicht beide Geschlechter, wenn wir das mitmachen? Muss es nicht einen Feminismus geben, der Frauen alles ermöglicht – und genauso einen Maskulinismus, der es unseren Söhnen ermöglicht, Pink zu tragen und tanzen zu gehen und nicht nur Kampfpilot zu werden, sondern auch Kindergärtner oder Arzthelfer? Zumal exakt jene Jungs, die nicht Prinzessin sein dürfen, von den gleichen Erwachsenen schnell mal in die Rüpel-Ecke gestellt werden, in die wir sie ja aber gedrängt haben, weil sie nichts anderes durften? (Hier zum Beispiel beklagte ein Vater gerade die Schonungslosigkeit der Jungs, wenn sie Mädchen beim Fußball integrieren sollen. Leider schreibt er nichts darüber, ob die Jungs bei den Prinzessinnen-Partys seiner Töchter integriert werden).
Was aber mag außer Marketing-Erfolg hinter dem Phänomen stecken? Die ZEIT meint: Vorauseilender Gehorsam der Eltern. „Mädchen, die wie Jungs sind, sind rebellisch, das finden wir gut, so wie bei Pippi Langstrumpf. Jungen aber, die wie Mädchen sind, die mit Puppen spielen, sich schön und glitzernd anziehen, ähm, tja, nein, eher nicht so gerne. Toleranz hin oder her: alle Kinder, die sich über die Geschlechterpolizei in Familien, Kitas, Spielzeugläden und Kinderkatalogen hinwegsetzen, auch die Mädchen, müssen dafür einen Preis zahlen. Nämlich den, in ihrer Geschlechtszugehörigkeit verunsichert zu werden. Ja, klar kann ein Mädchen sich Fußballershampoo wünschen, obwohl es ein Mädchen ist. Aber, und das ist der Punkt: nicht weil es ein Mädchen ist.“ schreibt die ZEIT, und ja, das sind Kleinigkeiten, aber sie sind da, für beide Geschlechter, und sie müssten sich eigentlich fremd anfühlen in einer aufgeklärten, gleichberechtigten Welt.
Der oben zitierte ZEIT-Artikel endet damit, dass das allgegenwärtig konsumierte Rosa das Hirn so schön verklebt und es einfach so bequem ist, davon nicht abzuweichen. Aber das ist mir dann doch zu bequem, denn ebenso, wie Menschen nicht unbedacht Arschlöcher ins Parlament wählen, konsumieren sie ja nicht versehentlich, sie tun es, weil sie es wollen und gut finden.
Wie also könnte ein Ausweg aussehen?
Wie sagt Carolin Emcke: „Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden.“ Und genauso ist es doch mit Geschlechterzuschreibungen auch: Was der eine als „männlich“ empfindet, wird doch dadurch für die andere nicht weniger „weiblich“ und umgekehrt. Der Wert einer Farbe, eines Hobbys oder eines Hörspiels (!) kann sich doch nicht dadurch definieren, dass er eben nur für ein Geschlecht existiert. Wenn Jungs Bibi Blocksberg mögen, kann sie doch deswegen nicht weniger cool sein für Mädchen? Und das gilt nicht nur fürs Marketing. Sondern auch fürs Leben. Für den Prinzessinnen-Geburtstag, das Ingenieursstudium, für Fußball und das Amt als BundeskanzlerIn. Ich glaube: Unsere Kinder können nur gewinnen, wenn sie sich ihre Identität aus allen Welten zusammensuchen dürfen.
Die ZEIT sagt weiter: „Wir sollten das zugeben: Indem wir Gendermarketing tolerieren, zementieren wir Rollen, behindern wir Kinder in ihrer freien Entfaltung.“ Ich bin für weniger Zement. In den Köpfen und auf den Schultern unserer Kinder. Ich steh auf architektonischen Brutalismus. Aber nur den.