
Warum ich an Weihnachten mit einem Trinkpäckchen anstoße
… because Love actually.
Ich habe länger auf diesem Text rumgekaut, weil mich neulich ein Unbehagen beschlich, das ich erst nicht genau benennen konnte. Das ging so: Auf einem der besten Mom-Blogs ever, StadtLandMama, wurde ein kurzer und dick selbstkritischer Text gepostet, in der es um ein Trinkpäckchen ging. Ziemlich ehrlich, ohne werbliches Geschwafel (der Text war keine Kooperation). In dem Text, den ich beinahe in der Gattung „Beichte“ einordnen möchte, flog mehr Asche aufs Haupt der Autorin als Limo in den Magen des Kindes. Mehr guilty als pleasure. Und dann las ich Facebook-Kommentare.
Das ist bei manchen Themen mittlerweile ähnlich sinnvoll wie „Bauchschmerzen“ googeln und „Krebsdiagnose“ als Echo bekommen. Ich las „Limo“ und bekam „Shitstorm“, jedenfalls von ein paar Menschen. Einige entfolgten den Blog, weil eine der beiden Autorinnen einem Kind ein Trinkpäckchen spendiert hatte. Die Problematik wurde dabei gar nicht genau erörtert, nehmen wir der Einfachheit halber an, es ging darum, dass das Gesöff zuckerhaltig und umweltschädlich verpackt ist, also Mensch und Natur auf voller Bandbreite schadet.
Nun muss man vielleicht dazu sagen: Auf diesem Blog ist gesellschaftliche Relevanz Programm. Die Macherinnen lassen Frauen zu Wort kommen mit traumatischen Geburtserlebnissen, hier reden Eltern autistischer Kinder. Die beiden Autorinnen kämpfen für Kinder aus bildungsfernen Schichten, klären über Medienkonsum auf, es sprechen Missbrauchsopfer, ich könnte die Aufzählung lange fortführen. Es ist wirklich ein sinniger Blog, der alle Lügen straft, die Elternblogs per se Irrelevanz und Heimchenatmo unterstellen. Und dort also schrieben sie, dass sie ausnahmsweise mal ne Limo serviert haben.
Es gibt so Sachen: Eine Viertelstunde Fernsehen, ein Schwert als Spielzeug, Joghurt mit Gummibärchen, da gehen manche Menschen furchtbar an die Decke, und das gerne öffentlich, wortreich und aggressiv in den asozialen Netzwerken, und bei dieser Limo fiel mir mal wieder auf, wie… nun … wenig zielführend das ist. Weil Empörung allein ja zu nichts führt, erst recht, wenn sie so unverhältnismäßig ist. Denn natürlich kann man sagen: Finde ich blöd. Aber dieses Haten, das kam mir wie Exzessnotwehr vor, es war ein so plakativer Rückzug von EINER LIMO, mit dem der Welt doch in nichts geholfen ist. Und weil eine Limo gemessen an einem Apple-Handy, einem Auto oder Mode von H&M irgendwie noch verzeihlicher Konsum scheint – und mein Gefühl mir irgendwie einflüstert, dass die Kritiker der Limo nicht kapitalismuskritische Neuordner der Welt sind, sondern nur reflexhaft meckerten. Ohnehin nicht sonderlich pointiert im Ton, aber es ist noch dazu so widersinnig, dafür eine Plattform zu entliken, die alles, alles andere ist als ein gewinnschaufelndes Ethik-Monster, sondern im Gegenteil sogar die Limo total geerdet eingeordnet hat. Eine Limo auf StadtLandMama ächten, heißt Steine werfen – auf nichts.
Meine Mutter zum Beispiel war im Rückblick ein Vollhippie, kochte Brennesselsuppe, wir haben super viel aus ihrem mega-Garten geerntet, Fleisch gabs nur von Kühen, die wir kannten, blablabla, aber wisst ihr was? Manchmal gabs Buchstabensuppe aus der Tüte. Auf dem Sofa. Ungebadet. Weil: Wir mochten das.
Oder meine Hebamme: Eine Hammer einfühlsame, tolle, mega Frau, ich verfalle in Liebestaumel, wenn ich an sie denke, und beim ersten Baden meines ersten Kindes guckte sie sich um im Bad, schnappte sich ein Duschgel meines Mannes (Parfüm! Tenside! Silikone!), drückte mit einem Pupsgeräusch einen dicken Flatscher aus der Flasche auf sein flaumiges Köpfchen – und ja, wusch ihm die neu geborene Birne mit AXE. Oder meine eine Yoga-Freundin, die im Wesentlichen ein ziemlich weltumspannend rücksichtsvoller Mensch ist: Sie fliegt jedes Jahr ungeniert nach Indien, um Yogakurse zu machen in einem Land, das wahrhaftig Probleme hat, die andere Maßnahmen erfordern als innere Einkehr, und das weiß sie – und wählt es trotzdem.
Was aber will ich damit jetzt sagen? Ich glaube, dahinter steckt eine Lehre fürs Leben mit Kindern. Denn das perfekte Leben gibt es nicht. Wir alle haben eine Limo Leiche im Keller. Eine Türkei-Reise, die man momentan aus politischen Gründen nicht machen dürfte. Den Seychellen-Flug, der die Klimaerwärmung im Alleingang erledigt. Das AXE auf dem Babykopf. Die Buchstabensuppe. Der Geschenkeberg an Weihnachten, die Mastgans. Irgendwo habe ich neulich gelesen (ich glaube, es war ein Zitat aus der ZEIT): Der Weg zu einer besseren Welt muss ja nicht sein, dass alle alles perfekt machen. Wenn jeder etwas besser macht, dann ist viel gewonnen. Wenn man sich diese Verhältnismäßigkeit immer vor Augen riefe statt in Empörungsreflexe zu verfallen, dann wäre vielleicht schon viel erreicht.
Die Beispiele, bei denen Menschen Ärmel hochkrempeln statt zu maulen, lassen sich super, super easy finden. Ich sehe Felicitas Heyne, die in Afrika hilft. Infemme, die für eine ehemals obdachlose Mama Spenden sammelt. Ich sehe Menschen, die nicht nur über Plastik meckern, sondern es auch aus dem Meer fischen. Die Katzen retten oder für Organspenden werben. Die an einer Antibiotika-Alternative forschen, ungesühnte Verbrechen aufklären oder hungrigen Kindern ein Mittagessen kochen. Natürlich finde ich es manchmal schade, dass ich nicht auch etwas so Sinnvolles für die Welt tue. Aber allein es bei Anderen zu lesen ist so unfassbar wohltuend, und soll ich was sagen: Die Limo bleibt drin in meiner Timeline. Weil man niemals im Real Life jemanden verlassen würde, der seinen Kindern eine Ausnahme genehmigt. Weil Pöbeln nicht Machen ersetzt.
Love actually is all around, aber die Liebe steckt nicht in Facebook-Kommentaren. Sie ist da draußen, und ich bin sicher: Wenn sie ein Mensch wäre, würde sie sich gelegentlich ein Trinkpäckchen reinziehen.
⚓ EXTRA-HAMBURG-TIPP
Mit der Agentur, bei der ich arbeite, war ich vor Weihnachten bei den Mädchen und Jungen, die bei der Stiftung Mittagskinder ihre Nachmittage verbringen (können). Viele von ihnen verlassen abends diese Räume, mit geputzten Zähnen und einer Pausenbrotbox für den nächsten Tag schon in der Schultasche. Wenn ihr also vor Weihnachten noch eine Spende loswerden wollt: Da ist sie sehr, sehr sinnvoll aufgehoben.