
Wie süüüß, ein Hospitalismus!
Ich weiß, dass man als Eltern immer wahnsinnig authentisch sein soll und finde das eigentlich auch selbstverständlich. Aber ich stolpere immer wieder über eine Aktivität, bei der ich eben nicht konsequent bin: Den Zoo.
Ich finde Hagenbecks Tierpark eine der schönsten Anlagen, die ich gesehen habe. Ich liebe es, dass die Kinder dort kilometerlang freie Bahn haben, ohne einem Auto zu begegnen. Und ich finde es wichtig, meinen Kindern bei ihrem naturfernen Stadtleben Grün und Tier zu bieten. Deswegen gehe ich auch in den Zoo.
Leider weiß ich gleichzeitig, dass das natürlich Schwachsinn ist. Die meisten Tiere da haben keine Ahnung davon, was Natur ist. Sind in Gefangenschaft geboren, und das wörtlich. Die Bedingungen, unter denen die leben, nennt man beim Menschen Knast.
Ich kann die stereotypen Bewegungen der Eisbären ebenso wenig übersehen wie das absurde Verhalten der Elefanten, die den ganzen Tag auf drei Beine gestellt, das vierte über eine Absperrung baumelnd, nach Obst und Gemüse der Besucher angeln. Vielleicht ist das ein Empathie-Problem von meiner Seite, aber ehrlich: Es tut mir aufrichtig leid, wenn ich die Orang-Utans sehe, wie sie gelangweilt versuchen, in ihrer Hängematte wenigstens Schutz vor den Blicken der Besucher zu finden.
Und klar empfinden Kinder dabei Freude, alle noch so kleinen Handlungen der Tiere zu beobachten. Aber das ist eben kindliche Freude, unbefangen und analyselos. Zu der bin ich nicht mehr fähig. Ich bin ein moralisch denkender Mensch und kann das Preis-Leistungsverhältnis eines Zoobesuchs nicht übersehen: Für die Begeisterung meiner Kinder zahlen Hunderte Tiere einen absurd hohen Preis: Gefangenschaft. Artfremdes Leben. Keine Möglichkeit, ihr Verlangen nach Bewegung, Jagd, Rückzug zu stillen. Mal ganz davon abgesehen, dass so ein Tierpark-Besuch ja auch begrenzt lehrreich ist. Ehrlicher Weise müsste ich demnächst anfangen, Dinge zu moderieren wie „Schau, Kleiner, das da ist eine Stereotypie.“ Auch nicht im Sinne der Zoo-Erfinder, denke ich.
Und während mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber herrscht, dass Zirkustiere nicht gehen. Dass ein Bär in einem Stadtgraben nicht geht. Und dass Affen in Videoclips nicht gehen – so scheint es doch okay, Tiere im Zoo anzusehen.
Zirkus: Alle so „Pfui!“ – Zoo: Alle so „Ooooh, süüüß.“
Wahrscheinlich, weil wir das Leben der Tiere dort als semi-okay bewerten. Weil so ein Löwengehege etwas größer ist als ein Zirkuskäfig? Weil manche Artenschützer eben sagen: Der höhere Sinn der Tiergärten liegt darin, Arterhaltung zu ermöglichen durch Zuchtprogramme. Gleichzeitig findet man aber auch Experten, die diesen Programmen Erfolglosigkeit attestieren. Außerdem wäre unsere Kohle statt in Zoobesuche dann wahrscheinlich besser angelegt in Greenpeace oder WWF, die Arterhaltung in der Natur verfolgen.
Kleine historische Erinnerung: Früher wurden bei Hagenbecks auch Menschen ausgestellt, der SPIEGEL schrieb abwertend „wie Vieh.“ Nun ja. Vielleicht sollte man auch Vieh nicht ausstellen wie Vieh. Mir drängt sich auch im historischen Vergleich die Gedankenkette auf: Fremde Menschen auszustellen ist nicht okay. Tiere im Zirkus zu zeigen ist nicht okay. Und nein, Tiere im Zoo sind also zu einem großen Prozentsatz (und die Einschränkung mache ich schon aus purem Selbstschutz) auch: Nicht okay.
(Übrigens hat eine Studie später herausgefunden, dass die Völkerschauen zu mehr Rassismus geführt haben, nicht weniger. Wenn das mit Zoobesuchen heute analog läuft, dann führen sie jedenfalls nicht zu mehr Tierliebe.)
Was also soll sein mit Zoos? Ich weiß nicht, ob unsere Kinder bessere Menschen würden, wenn wir ihnen eine Welt ohne Tiere in Gefangenschaft präsentierten. Aber das ist wieder eine sehr menschenbezogene Sicht. Vielleicht wäre die Welt, die meine Kinder als „ohne Tiere“ wahrnähmen, für die Tiere eben die bessere.
First World Problems? Stimmt. Die ganz einfach abzuschaffen wären, indem wir uns Tiergärten eben nicht mehr leisteten. Vielleicht stehen meine Söhne in 30 Jahren mit großen Augen vor mir und rufen entgeistert: „Echt jetzt, Mama, du hast uns gezwungen, eingesperrte Tiere anzugucken? Wie ekelhaft!“