
Wir sind Helden!
Wenn du vor dem Jahr 2000 Kinder bekommen hast, dann geht dich dieser Text nichts an. Dann gehörst du nicht dazu. Denn das, was die Elterngeneration heute tut, macht sie zu Helden.
Wir schnallen unsere Kinder an, wir kaufen ihnen Fahrradhelme und sichern Herd und Fenster. Alle anderen Räume überlassen wir ihren Abenteuern. Auch wenn wir in jedem Baumarkt locker 500 Euro lassen könnten, um Türen, Treppen, Substanzen und ihr LEBEN immer perfekter zu sichern.
Überhaupt glauben wir nicht an Konsum. Wir wissen, wie wichtig sich für die Kleinen der richtige Anorak, die richtige Schultasche anfühlen – und versuchen doch, ihnen zu vermitteln, dass sie es nicht sind.
Wir ziehen unsere Kinder groß, ohne an ihnen zu zerren. Wir sind informiert, ohne Klugscheißer zu werden. Oder panisch. Wir lesen Ratgeber, bleiben aber spontan. Wir haben Wissen nur einen Klick entfernt, grenzen uns aber ab. Trotzdem hüten wir uns vor Vereinzelung! Wir bauen unseren Kindern eine Welt voller Menschen und Momente, und zeigen ihnen in der übrigen Zeit, wie man sie sinnig nutzt, diese Medien.
Wir lavieren den Einkaufswagen mit ihnen drin zwischen Süßigkeiten, Limos und fetter Leberwurst, ernähren sie aber gesund. Dabei achten wir genau darauf, dass es um Genuss geht, nicht um Essstörungen. Sie sollen nicht fett werden, aber Drill Richtung dünn, den sollen sie auch nicht kennen.
Wir wünschen uns, dass sie ihre Talente kennen lernen, aber ihre Wochen mit Terminen vollknallen? Nee. Freizeit, Spielen, Freunde: Alles wichtig. Das wissen wir und verlassen uns auf unseren Verstand, auch wenn wir Dutzende Bücher und Myriaden von Homepages dazu befragen könnten.
Wir sind therapiert und wollen dennoch nicht überanalysieren. Wir kennen unsere Schwächen, ohne zu projizieren. Wir leben in einer grotesk visuell dominierten Welt und lesen ihnen doch den „Kleinen Prinzen“ vor, weil wir ihnen den Glauben an innere Schönheit ermöglichen wollen. „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Die Enttäuschung darüber, dass das heute wohl als Halbwahrheit durchgeht, muten wir ihrem Seelenleben zu. Weil wir auf ihre Robustheit bauen. Weil wir wissen, dass ein (Seelen-)Leben trotz aller Veränderung, allen Fortschritts, seit Generationen auf gleiche Art funktioniert.
Wir wissen um den angeblich globalen Wettbewerb und wünschen den Kindern eine sorgenfreie Zukunft. Dabei halten wir Balance: Nicht zu leistungsorientiert sollten sie handeln müssen, nicht zu hedonistisch es dürfen. Sie sollen sich als Individuum wahrnehmen, aber bitte nur mit Blick nach rechts und links, weil wir wissen, dass jeder Einzelne nur zum Mensch wird in der Gemeinschaft.
Wir leben in der Stadt und arbeiten viel, die Rente ist nicht mehr sicher, und die Ehen sind es ebenso wenig. Aber die Kindheit unserer Kinder ist wichtiger: Wir verbringen die Teilzeit-Tage im Wald, in der Natur, die Ferien in Zelten und auf Bergen. Wir leben vor, dass gerade mit und wegen Kindern das Jetzt unser Leben ist, nicht die Zukunft. Wir begreifen unsere „Opfer“ nicht als ebensolche, sondern als Entscheidung für etwas und nicht dagegen.
Wir geben ihnen Handys, damit sie nicht die Idioten von vorgestern sind, hüten uns aber davor, daraus Überwachung zu machen. Wir kennen jede noch so beschissene Gefahr aus 30 Jahren anschwellender Medienflut, aber halten unsere Sorgen in einem sorgsam geschlossenen seelischen Raum, um ihnen ihre Wildheit nicht zu nehmen.
Wir wissen, dass es Irrsinn sein könnte, in eine Welt voller Angst und Ungewissheit, Gewalt und politischer Unwägbarkeiten Kinder zu bekommen, denen wir die gefühlt unperfekteste aller Welten hinterlassen werden. Inklusive Umweltproblematik. Krieg. Flucht. Wasserknappheit und Armut.
Unsere Kinder sind ein Trotzdem. Sie sind abertausende Bekenntnisse eines Optimismus, von dem wir, die Eltern, nur beten können, dass er auch ein bisschen Realismus enthält. Wir leben mit Medienkids, deren real Playstation immer noch der Spielplatz ist. Die mit Stöcken aufeinander schießen, als gäbe es kein World of Warcraft. Wir bauen darauf, dass wir Erfinder, Problemlöser und Fortschreiter, wir Humanisten und Vordenker eine neue Generation Erwachsener heranziehen, die sich so in ihrer Welt zurechtfinden werden, wie wir es in unserer taten. Manchmal schlecht – aber manchmal eben auch sehr gut.